Die gute Nachricht vorneweg: mit Geothermie alleine könnten alle Haushalte in Deutschland vollständig mit Wärme versorgt werden. Das ist nicht wenig, denn immerhin nehmen deutsche Haushalte zum Heizen und für Warmwasser etwa jede fünfte Kilowattstunde an Energie, die in Deutschland insgesamt verbraucht wird. Wesentliche Herausforderungen der Wärmewende, die jahrelang hinausgeschoben wurden, könnten mit Grundwasser als Wärmequelle und Wärmeträger gemeistert werden. Über den Bierdeckel gerechnet müssten wir nur ein bisschen den Untergrund abkühlen, etwa um ein Grad auf 100 m Tiefe, um das nächste halbe Jahrhundert alle fossilen Energieträger der privaten Wärmeversorgung zu ersetzen. Wenn man nun bedenkt, dass mit dem Klimawandel und der Anreicherung anthropogener Abwärme vielerorts die Temperaturen im Untergrund ja noch viel stärker steigen als um ein Grad, so kompensiert man damit noch möglicherweise ungünstige Entwicklungen für das oberflächennahe Grundwasser. Also win-win.

Aber nicht nur oberflächennah gibt es solche Potenziale. Hydrothermale Tiefengeothermie trägt im Land aktuell nur zu einem Promille zur Fernwärmeversorgung bei. Stellt man das vom Umweltbundesamt geschätzte technische (und damit hydrogeologische) Bereitstellungspotenzial gegenüber, dann würde das aber für die gesamte Fernwärmeversorgung reichen. Und wenn wir uns schließlich noch überlegen, dass der Untergrund und insbesondere das Grundwasser ein perfektes thermisches Speichermedium ist, dann können wir auch noch das Problem mit dem saisonalen Speichern von Wärme und Kälte lösen. Gleichzeitig könnte der zunehmende Kältebedarf gestillt werden und der Untergrund nachhaltig thermisch bewirtschaftet werden.

Doch nun zu den schlechten Nachrichten. Die theoretischen Ressourcen lassen sich leider nicht so leicht heben, nicht überall kann gleichmäßig dem Untergrund Wärme entnommen werden und nicht überall sind Verbraucher. Wie die Grundwassergewinnung wird die oberflächennahe Geothermie auch immer lokal und hier verstärkt eingesetzt. Das führt zu den vieldiskutierten Konflikten zwischen Geothermie und Gewässerschutz: Wie stark darf man den Untergrund abkühlen, ohne die Wasserqualität und insbesondere den Lebensraum Grundwasser zu beeinträchtigen, und wie stark darf man ihn aktiv oder passiv aufheizen? Gerade in der aktuellen Verbundforschung versucht man, hierzu Antworten zu finden, um Behörden verlässliche Grundlagen für Regularien und Entscheidungen zu liefern. Hier treffen unterschiedliche Disziplinen aufeinander – es gilt insbesondere ökologische Betrachtungen mit hydrogeologischen und technologischen auf einen Nenner zu bringen. Und wie immer sehen wir trotz zum Teil weltweit einzigartiger hochauflösender Messkampagnen über Jahrzehnte im dichtbesiedelten Raum noch viel zu wenig hinein in das Grundwasser, um die dynamischen Temperaturveränderungen und ökologischen Auswirkungen vollständig zu verstehen.

Jetzt ist schon abzusehen, dass es leider keine allumfassend sinnvollen Temperaturgrenzwerte gibt. Es bedarf gerade in der städtischen Raumplanung auch einer Untergrundraumplanung mit gezielt ausgewiesenen geothermischen Nutzungs- und Schutzzonen. Hier muss auch mehr Bewusstsein geschaffen werden über das Zusammenspiel von aktiv durch Geothermie erzeugten und passiv durch anthropogenen Wärmeeintrag hervorgerufenen Temperaturanomalien. Interdisziplinär und über Sektoren hinweg sind hier die Herausforderungen, in denen Hydrogeologen eine zentrale Rolle einnehmen. Aber trotz der Spannung und gesellschaftlich so relevanten Mission fehlte es bisher vor allem an landesweit effektvollen Fördermaßnahmen, und es braucht viel mehr als nur lokale Leuchtturmprojekte. Schließlich mangelt es an Nachwuchs in der Hydrogeologie, bei den Bohrfirmen, in der Heizungstechnik und Energieplanung und -versorgung. Solche Hemmnisse verlangsamen eine deutlich verbesserte Positionierung von Geothermie in der angewandten Forschung und Praxis.

Dennoch, wenn auch langsamer als vielleicht nötig, viele Entwicklungen begünstigen unser Fach. Der verstärkte Einsatz von Wärmepumpen und die Niedrigtemperaturwärmeversorgung gelten als elementar für die Wärmewende. „Kalte Nahwärme“ mit großen Erdwärmesondenfeldern, großflächigen Erdwärmekollektoren und Grundwasserwärmenutzungen ermöglichen mehr denn je eine integrierende Planung, langfristiges räumliches Monitoring und den Einsatz von effizienten Großwärmepumpen. Neue Aquiferspeicher-Projekte werden vielerorts diskutiert und flankiert von zahlreichen aktuell startenden BMBF-Verbundvorhaben. Das hohe Interesse an Lithiumgewinnung im Rahmen der Tiefengeothermie wie im Oberrheingraben öffnet neue Türen und finanzielle Möglichkeiten zur Umsetzung von rentablen Großprojekten.

Schon in den 1970er-Jahren war es eine Energiekrise, die der Geothermie einen Entwicklungsschub gegeben hat. Nach dieser „Ölpreiskrise“ von damals stehen wir nun vor einer „Gaspreiskrise“. Inwiefern diese dazu beiträgt, die theoretischen geothermischen Ressourcen im Grundwasser zu heben und nachhaltig zu bewirtschaften, bleibt abzuwarten. In jedem Fall muss ihnen jetzt viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Und ob wir nun schreiben, dass theoretisch 100 % des Wärmebedarfs mit Geothermie gedeckt werden könnte, oder ob tatsächlich wohl nur 25 % oder 50 % davon technologisch erreichbar wären – etwas mehr als der Beitrag von aktuell 1,5 % zur Wärmeversorgung könnte es schon sein. In diesem Sinne: Es ist Zeit für eine Erdwärmewende.

 


Zitation

Bayer, P., Blum, P. Es ist Zeit für eine Erdwärmewende. Grundwasser – Zeitschrift der Fachsektion Hydrogeologie (2022). https://doi.org/10.1007/s00767-022-00524-3.

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